oder ein Tag im sysTelios Gesundheitszentrum

von Marcus Rosik

Dieses Jahr findet der sysTelios Tag, der Tag an dem sich hypnosystemisch interessierte Menschen zum Austausch treffen, am 04. Juli 2015, dem bislang heißesten Tag des Jahres, statt. Um sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Thema „Transfer“ hypnosystemischer Konzepte in privaten und beruflichen Alltag zu beschäftigen, sind rund 200 Teilnehmer und folgende Experten angereist: der Chaosforscher PD Dr. Dr. Guido Strunk, der Synergetik- und Dynamik-Experte für nichtlineare Systeme in der Psychologie, Prof. Dr. Günter Schiepek, der 89jährige Wegbereiter der systemischen Therapie in Deutschland, Helm Stierlin mit seiner Frau, der Resilienz-Expertin Dr. phil., Dipl.-Psych. Satuila Stierlin sowie die Gründer des sysTelios Gesundheitszentrums Mechthild Reinhard, Dr. med. Gunther Schmidt und Dr. med. Carsten Till.

Für uns Teilnehmer gibt es reichlich zu trinken, zu essen zuerst eine interessante Podiumsdiskussion, anschließend viele Workshops zu den hypnosystemischen Themen in Bezug auf Körper, Musik und Kunst, sowie zum Synergetic Navigation System (SNS) und der Idographischen System Modulation (ISM), usw. usw.
Satuila Stierlin und ihr Mann Helm sind nicht mehr die Jüngsten. Helm, so können wir nachlesen, ist 89 Jahre alt. Seine Frau einige Jahre jünger. Auffällig sind ihre Gesichter: ruhig, gelassen und zufrieden. Dass die Beiden etwas Besonderes verbindet können wir auch daran erkennen, dass sich die Genossenschaft „Beziehungsweisen“ gegründet hat, um ihre Form des Zusammenlebens im Alter in die Öffentlichkeit zu tragen.

Podiumsdiskussion zu Prozessen der Selbstorganisation

Als ich Satuila und Helm Stierlin, die im Publikum sitzen, während der Podiumsdiskussion betrachte, vergesse ich für einen Moment die Veranstaltung. Ich bin in ihren Bann gezogen und bewundere ihre Ausstrahlung, diese Zufriedenheit. Dieses „In Sich Ruhen“ ist schon beeindruckend! Wenn man lange genug hinschaut, erheischt man diesen Moment, in dem Satuila ihren Blick zu ihrem Mann wendet, Stolz wird sichtbar, Liebe und Gelassenheit. Ich habe das Gefühl, man könnte ein ganzes Buch mit dem füllen, was in diesem Blick steckt. Das ist wohl der Moment, in dem ich mich für ihren Workshop entscheide, erinnere ich mich später.

Nach der Podiumsdiskussion stellen die Referenten ihre eigenen Workshops vor. Kaum hat Satuila ihren Workshop „Resilienz“ vorgestellt, geht sie ihren Weg in den Workshop-Raum. Bei der Hitze ist es gut, wenn man in Bewegung bleibt. Ich bin irritiert. Ich erkenne den Sinn nicht. Soll ich noch warten, bis die übrigen Referenten ihre Vorstellung hinter sich haben und verpasse dann einen Teil des Resilienz-Vortrages? Ich entscheide mich ihr zu folgen.

Im Seminarraum angekommen hat Satuila bereits begonnen. Ich setze mich leise auf den letzten freien Stuhl und lausche der Definition von Resilienz. Plötzlich geht die Tür auf. Ah, diejenigen, die sich nicht entscheiden konnten sofort mitzugehen, kommen nun nachdem alle Referenten ihre Workshops vorgestellt haben. Es rumpelt. Stühle werden rein gebracht. Satuila unterbricht geduldig bis sich der Letzte gesetzt hat; setzt fort.

Was ist „Resilienz“?

Satuila erklärt den aus der Baukunde kommenden Begriff etwas ungenau. Das Lexikon beschreibt als „resilient“ Materialien, die sich nach einer Verformung wieder in ihren Ursprungszustand zurück bewegen, ohne dabei ihre Struktur zu verändern. Ein uns bekannter resilienter Gegenstand ist der Küchenschwamm. Sehr interessant ist der Transfer dieses Begriffes auf die Spezies Mensch: Gedeihen trotz widriger Umstände. Darum wird es also die nächsten eineinhalb Stunden gehen.

Es gibt drei Faktoren, die Resilienz ermöglichen: Da ist zunächst die Handlungsfähigkeit, die erhalten werden sollte, will man etwas verändern. Klar, in der Schockstarre, im Totstellreflex ist man zu keiner Handlung mehr fähig. Es ist hilfreicher, wenn man sich noch Handlungsalternativen überlegen kann. Der zweite Faktor ist das Selbstvertrauen, in starker Ausprägung könnte man sogar Urvertrauen sagen. Das Vertrauen darin, das man die Situation für sich schon verbessern kann, auch wenn die Lösung gerade jetzt noch nicht auf dem Tisch liegt. Der dritte Faktor ist die Sinnhaftigkeit, die es für sich zu erkennen gilt, zu bestimmen gilt, da ansonsten die inneren Systeme schwer zum Mitmachen zu bewegen sind.
Wir steigen tiefer ein und lernen Namen kennen, die mit dem Begriff Resilienz verbunden sind, wie zum Beispiel den Neurologen und Psychiater Viktor Frankl, den Chemiker, Schriftsteller und Holocaust-Überlebenden Primo Levi und den Professor der Soziologie Aaron Antonovsky, der sich mit der Salutogenese beschäftigte. Anschließend startet Satuila den Transfer zu Margid Siebner, von der wir einen Interview-Film sehen werden. Margid ist Holocaust-Überlebende. Zu Zeiten des zweiten Weltkrieges galt sie als Mischling.

Dokumentarfilm „Trotz Alledem – Formen von Resilienz“

Satulia will den Film starten und drückt die falsche Taste. Der Bildschirm wird schwarz. Ganz unaufgeregt bittet sie um Hilfe. Wir haben Glück, eine Filmemacherin ist anwesend. Der Film läuft. Alles passiert so unaufgeregt wie das morgendliche Zähneputzen.

Wir lernen in dem Film, dass resiliente Menschen auf ihre Würde achten. Sie gehen ihren Weg mit Geduld und Hartnäckigkeit. Hinfallen ist genauso normal wie das darauf folgende Aufstehen. Sie folgen ihrer Sinnhaftigkeit und versuchen es abermals über einen anderen Weg. Sie machen aus allem das Beste, schreien das Leid aus sich heraus oder teilen es mit anderen Menschen. Wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen bitten Sie um Hilfe und suchen nach Verbündeten.

In schweren Zeiten suchen sich resiliente Menschen einen Anker, der ihrem Schmerz einen Platz gibt. Das kann ein Requiem sein, ein Symbol oder ein Ritual. Der Schmerz sei deswegen nicht weg, nur sei er besser zu ertragen. Sie gehen auch in die Auseinandersetzung. So könnte es sein, dass sie ihren Pastor zur Rede stellen zur erhofften Klärung, warum Gott das zugelassen habe. Oder sie gehen in die direkte Anklage an Gott und die Klage über ihren Schmerz. Kann man den Schmerz an Gott abgeben? Auch wenn sie keine befriedigenden Antworten bekommen, so ist es doch erleichternd, etwas für den Schmerz getan zu haben. So sei er besser zu ertragen.

Nach dem Film diskutieren wir in der Gruppe, über das, was uns aufgefallen ist. Sortieren, clustern, wie man heute sagt und fassen zusammen. Ich nehme einen Satz, eine Erkenntnis mit nach Hause: Die visionäre Kraft des Wunschdenkens.

Am Ende bin ich begeistert von Satuila, die ihr Thema Resilienz in meinen Augen verkörpert. Sie hat mir die Resilienz mit augenscheinlich wenigen Handgriffen viel näher gebracht. In nur eineinhalb Stunden bei rund 40 Grad Außentemperatur. Danke!